Skills
von Eva Rottmann
Rike Anna Mäder
Tom Victor Moser
Tim Fabian Müller
Koyote Florian Müller-Morungen
Melek Marisa Rigas
Decker Raphael Traub
Regie Denise Carla Haas
Kostüme Anna von Zerboni
Dramaturgie Martina Grohmann
Bühnenbildassistenz Annina Züst
Inspizienz Peter Keller
Am 06.06.2009 im Schauspielhaus, Theater Basel
Publikumspreis dotiert mit 3'000.-
Presse
Badische Zeitung 09.06.2009
Tod im Schwimmbad
Der Hype um die junge Dramatik,
der in den neunziger Jahren aus
Großbritannien auch nach
Deutschland und in die Schweiz
kam, ist stark abgeebbt. Das Ende
der Popkultur, die weltweite
Finanzkrise und nicht zuletzt die
unsichere finanzielle Situation der
Theater haben das Vertrauen in
Stücke unbekannter
zeitgenössischer Autoren
geschwächt. Gedanken zu
al-Qaida sucht man wieder
verstärkt bei Shakespeare und
Brecht. Das Stück Labor Basel, das zum zweiten Mal stattfindet, setzt sich gegen
diesen Stillstand ein: Bei den Werkstatttagen der Schweizer Dramatik am Theater
Basel sind über zwei Wochen Stücke hauptsächlich jüngerer Autoren aus der
Romandie und der deutschsprachigen Schweiz geprobt und in szenischen Lesungen
gezeigt worden.
Unter den Autoren waren auch nicht mehr so Junge wie Antoine Jaccoud und nicht
mehr so Unbekannte wie Lukas Bärfuss und Reto Finger. In Werkstattinszenierungen
wurden Stücke von Daniel Goetsch, Lorenz Langenegger und Eva Rottmann
vorgestellt. Die drei Autoren haben in den Monaten davor in Workshops mit der
Freiburger Dramatikerin Theresia Walser und je einem Mentor des Theaters ihre
Stücke entwickelt. Die Texte befinden sich weiterhin in Arbeit, die
Publikumsgespräche nach den Aufführungen sollen bei der Weiterentwicklung der
Stoffe helfen. Das Stück, das die Besucher als ihren Favoriten wählten, erhielt den
Publikumspreis.
"Geschwister" von Lorenz Langenegger (szenische Einrichtung: Anina La Roche) ist
ein Text über einen Banker, der sich nur über seine Arbeit identifiziert hat. Als er
arbeitslos wird, sucht er Halt in alten und imaginierten Bindungen zu Mutter,
Schwester und Nichte. In einem Verwirrspiel um Identitäten werden Frust und alte
Beziehungen aufgebrochen, neue erscheinen möglich. Ein stilles Stück über die
Familie von heute, die an den sozialen Umständen und ihrer Unfähigkeit zur
Kommunikation erkrankt, setzt eine sehr musikalische Sprache frei. Die Sätze
werden meist nicht zu Ende gesprochen, aber doch hat dieser Text sehr viel
Rhythmus und Witz und kommt leicht daher, auch wenn er Schweres zum Thema
hat.
Auch Goetschs "Der Reisläufer" (eingerichtet von Jan Stephan), ein Well Made Play
über die Ausbeutung Afrikas durch die Industriestaaten, den Kapitalismus und die
Frage nach dem Bösen im Menschen, setzt bei einem an, der seinen Job verloren
hat: Der arbeitslose Ingenieur Lockow bekommt überraschend eine Stelle in
Kwasimumbu angeboten. Dort trifft er auf einen ehemaligen Studienkollegen. Durch
ihn erfährt Lockow von seinem Vorgänger, der von Aufständischen erschossen
wurde, und lernt eine junge Einheimische kennen, die sich mit ukrainischen Piloten
einlässt – und ein Spiel um Macht, Öl, Waffen und Profit nimmt seinen Lauf.
Goetschs Drama ist explizit politisch, es will eine Aussage machen, Moral und Pathos
liegen aber schwer auf der Geschichte.
Den mit 3000 Franken dotierten Publikumspreis erhielt "Skills" von Eva Rottmann in
der Einrichtung von Denise Carla Haas, ein Jugendstück über vier Freunde in der
Provinz, die beim Skaten im Stadtpark ein unzertrennliches Quartett bilden. In ihrer
Heimatstadt haben sie Kultstatus und gelten als cool. Hinter ihrer Fassade aber
leiden sie unter Ärger in der Familie und Angst vor der Zukunft. Als Rike zu der
Gruppe stößt, gibt es erste Probleme unter den Jugendlichen, und in einer heißen
Sommernacht ertrinkt Tom im Schwimmbad. Die schnellen Dialoge spiegeln
Geschwindigkeit und Turbulenz von Pubertät, Reifezeitklischees werden ironisiert,
und immer bleibt der sozialkritische Text auf Augenhöhe mit seinen jungen
Protagonisten.
Die langen Gespräche der Autoren mit dem Publikum nach den sehr gut besuchten
Vorstellungen zeigten, wie groß das Interesse an junger Dramatik, an aktuellen
Stoffen ist. Wieder einmal deutlich wurde, dass ein Großteil der Besucher sich das
Theater als einen Ort wünscht, der Realitäten schafft. Sie wollen runde Geschichten
erzählt bekommen, Experimente in Sprache und Form sind eher unerwünscht – und
manchmal, wenn die Forderung nach Stringenz und Folgerichtigkeit der Stücke allzu
deutlich wird, kommt der Verdacht auf, die Zuschauer verwechselten das Theater mit
einem Kinosaal. Dennoch: Projekte wie die Basler Werkstatttage um ihren
leidenschaftlichen Leiter Peter-Jakob Kelting sind die beste Möglichkeit zu zeigen,
dass junge Theaterstücke mehr über ihre Zeit wissen, als Shakespeare und Brecht
ahnen konnten.
Autor: gab
Gezetera online 08.06.2009
AND THE WINNER IS... EVA ROTTMANN
Bereits zum zweiten Mal hat sich das Theater Basel während zweier Wochen voll
und ganz in den Dienst der Dramatikernachwuchsförderung gestellt. Am Samstag
wurde der Publikumspreis des «Stück Labors 2009» an Eva Rottmann verliehen.
Eva Rottmanns Stück «Skills» hat den
Publikumspreis des Stück Labors Basel gewonnen.
Tim (Fabian Müller), Tom (Victor Moser), Decker
(Raphael Traub) und Melek (Marisa Rigas) sind ein
untrennbares Teenagerquartett. Gemeinsam
geniessen sie Kultstatus in ihrer Kleinstadt und
entziehen sich im Park dem Unbill des Lebens und
des Älterwerdens. Als Rike zur eingeschworenen
Clique dazustösst, wallen Gefühle hoch und es
zeichnen sich Risse zwischen den Freunden ab, und
unter den Rissen klafft auf einmal ein grausiger
Zweifel...
Eva Rottmanns Stück «Skills» lebt von einer
rasanten, lebendigen Sprache. Die Dialoge sind aus
dem Leben gegriffen, sprechen von den Nöten und
Ängsten der Heranwachsenden, greifen aber auch
immer wieder nach dem Unsagbaren. Unter diese
Alltagssprache webt Eva Rottmannn Hamlet-Zitate,
die dem Geschehen sukzessive eine fatale Note
verleihen. Sie versteht es, mittels dieser Zitate das
Ungeheure anzudeuten. Ebenso versteht sie es,
diese Zitate mit Wortwitz und Elan zu karrikieren.
Die Schauspieler wenden sich frontal ans Publikum.
Auf einer Leinwand in ihrem Rücken wird
abwechselnd mal ein Park, mal ein Grabstein, und
dann wieder ein Fischteich projiziert (szenische
Einrichtung: Denise Carla Haas). Gerade die zwei
sehr bühnentauglichen Goldfische sorgen für Lacher,
als sie während eines wichtigen Duetts frontal in die
Kamera glubschen und lange genug so verharren, um
das tragische Schicksal des verlorenen Freundes zu
akzentuieren.
Das grosse Geheimnis – die Leerstelle – von Eva
Rottmanns «Skills» ist dieser verlorene Freund.
Obwohl zu jeder Zeit mit seinen Kumpels auf der
Bühne, trennt ihn doch etwas von seiner Clique. Der
zeitliche Fokus der Aufführung wechselt zwischen
Gegenwart und Vergangenheit, und mehr und mehr
fragt man sich, was es mit diesem Freund auf sich
hat. Zumal eine geheimnisvolle Figur sein Mentor ist,
nämlich Kojote (Florian Müller-Morungen). Dieser bei
aller Präsenz stets fremd bleibende Kojote ist es, der
immer wieder Lieder zur Gitarre anstimmt, das
Geschehen auf der Bühne kommentiert oder infrage
stellt und das Stück davor bewahrt, auf Hochglanz
poliertes Teenagerdrama zu sein.
Das gelingt in dieser Werkstattaufführung bereits
recht gut. Jedoch wünschte man sich bei aller
Prägnanz und Lakonie des Stückes eine stärkere
Herausarbeitung der Zerrissenheit des anwesendabwesenden
Freundes. Ist Rike der Grund für die
schmerzhafte Abwesenheit des Kumpels? Oder ist es
ein Geheimnis in diesem selbst? Auch liessen sich die
Hamletzitate noch nahtloser in den Dienst des
Stückes stellen.
So ist es eine packende Werkstattinszenierung,
gefolgt von einem Applaus, der es in sich hat. In der
anschliessenden Diskussion werden die am meisten
unter den Nägeln brennenden Fragen des Publikums
beantwortet. Und in der anschliessenden Sause im
K6 der Publikumspreis verliehen.
gezetera.ch, gs
Schaffhauser Nachrichten, 09.06.2009
Stück Labor bringt neueTalente hervor
Theater Basel
BASEL
Die 25-jährige deutsche Theaterschaffende Eva Rottmann hat
den Publikumspreis des Stück Labors in Basel erhalten. Die mit 3000
Franken dotierte Auszeichnung wurde ihr für das Drama «Skills». Das
Jugendstück, das sprachlich an die erfolgreichen Dramen von Laura de
Weck erinnert, setzte sich nur knapp gegen den Polit-Thriller «Der
Reisläufer» von Daniel Goetsch und das Familien-Psychodrama
«Geschwister» von Lorenz Langenegger durch. Alle drei Stücke waren im
Rahmen von mehrwöchigen Workshops mit der Dramatikerin Theresia
Walser sowie Schauspielern, Dramaturgen und Regisseuren
weiterentwickelt worden. Die Werkstattaufführungen waren am Freitag
und Samstag sehr gut besucht. «Der Reisläufer» von Daniel Goetsch
dreht sich um einen simpel gestrickten Ingenieur, der sich, ohne es zu
durchschauen, in Afrika in kriegstreiberische Machenschaften einspannen
lässt. Die Aufführung überzeugte dank des intensiven Spiels von Martin
Hug und Vincent Leittersdorf. Sie vermochten Tragik und Zynismus ihrer
Figuren über die Rampe zu bringen.
Rätselhafter ist «Geschwister» von Lorenz Langenegger (28): Da taucht
ein verschollener Bruder bei seiner Schwester auf, präsentiert seine –
womöglich falsche – leibliche Mutter und hofft statt auf Geschwisterliebe
auf eheliches Zusammenleben. Der im Weg stehende Schwager ist
möglicherweise bereits beseitigt. Hier enttäuschte die Regie: Das Stück
ist raffiniert gestrickt aus nichtchronologischen Gesprächen in
wechselnder Zusammensetzung und an verschiedenen Orten. Anina
LaRoche aber setzt alle gleichzeitig an einen Esstisch. Dem Verständnis
diente das nicht. Der Erfolg von Eva Rottmanns «Skills», dürfte
Regisseurin Denise Carla Haas zu verdanken sein, die mit wenigen
Mitteln hinreissend inszenierte. «Skills» dreht sich um eine Gruppe
Skateboarder an der Schwelle zum Erwachsenwerden: Ihre
Zukunftsperspektiven sind irreal oder werden ausgeblendet. Der beste
wird das Wiedersehen in fünf Jahren nicht erleben – ohne Brett unter den
Füssen bringt er keinen Mut zu gar nichts auf.
(iw)