Die Kronenhalle Bar
Carla Haas, 2010
TRET ICH EIN, bleibt die Welt draußen. Im durch Tür und Tür geschlossenen Eingangskubus wirbelt warme Luft in mein Gesicht. Die Kälte fällt ab. Es ist Winter. Die Schuhe werden auf dem Fußabstreifer zwei, drei Schritt blank poliert. Ich zieh die zweite Tür. Sie ist schwerer, als ich dachte. Meine Hände umkrallen den Griff. Kurz zerr ich mit meiner ganzen Körperkraft. Der Türflügel schwappt auf. Ich überschreite die Schwelle und tauche ins Halbdunkel. Ein Schleier wirft sich über mich. Kugeln Glanz schweben in der Dämmerung. Meine Füße verharren. Hinter mir wippt die Tür. Kerzenlichtfarbene Punkte fangen meinen Blick. Fünf, sechs in nächster Nähe. Fünf, sechs in weiterer Ferne. Mit den Augen laufe ich das warmrot leuchtende Dunkel ab. Die messingfarbene Stange vor der Theke bannt den Fluss. Matrosen halten sich an ihr fest, der Raum bricht entzwei. Die Bar und der Sitzbereich mit Tischen treiben auseinander. Konturen verschwimmen. Licht ist der Raum. Weich laufen die Linien. Die Sonne strahlt durch die weißen Raffvorhänge. Der Lärm der Rämistraße wütet hinter der Mauer. Der Seidenstoff hält das Bild verborgen.
DIE SCHIFFSKABINE ist mitten in Zürich. Die Fahrt geht ins Ungewisse. Immer. Wenn ich mitfahre. Der Bug schluckt mich. Spuckt mich anderswo anderswie aus. Stimmen wispern. Klirrende Eisstücke tanzen hüpfend auf Metall. Schritte nähern sich, verschwinden. Warme Begrüßungen erkundigen sich nach des Gastes Befinden und Wunsch. Türen klaffen auf, fallen zu. Namen von Drinks kullern in freudiges Geplapper. Geräusche weben die Zeit. Sie sind Musik. Zwänge im Jetzt lösen sich ab. Haut fällt wie von Schlangen.
GRÜN ZEICHNET sich ab. Der Stoff kleidet die Mauern. Ihre Fenster sind Bilder. Eine Frau schaut in sparsamen Pinselstrichen herein. Ihre Haare umschmeicheln in Wellen die spitze Nase und das markante Kinn. Durstig durchquert ihr Blick den Raum. Das gespaltene Gesicht. 27.6.72. Die Augen sitzen außerhalb der Höhlen. Sphinx oder Löwe, schnaubt mit wallender Mähne Dampf in die Luft. Geburtstagswünsche. Zum siebzigsten, vielleicht. Eine blaue Trinkflasche schwebt im luftleeren Raum. Ich will nach ihr greifen. Wer nicht? Vor einer rotgrün schwarzblauen Landschaft ist auch ein Sitzender auf dem Weg. Goldsilberne Lilien auf seegrünem Grund nehmen jeder Ophelia die Angst und locken: Komm, komm, ins Wasser. Komm.
DER HIMMEL AUS MAHAGONI wölbt sich. Die Holztäfelung streift ihn schräg. Breitbeinig ankern die Füße der Leuchten auf der Theke. Lilien duften weiß in der Ecke. Licht dem König. Die Unbeirrbaren hat er verehrt. Im hellen Jackett tänzelt der Ober durch sein Reich. Ich setze mich hinter den runden Tisch unter die beiden Gesichter. Flecken und Adern ziehen sich durch roten Marmor. Der eiserne Sockel gibt Halt. Meine Hände landen neben meinen Schenkeln auf schattengekühltem Leder. Die Fläche ist fein und fest. Eingelassene Knöpfe punkten die Bänke in regelmäßigen Abständen. Ich verschränk meine Hände vor der Brust und denk: Dieses Bild gibt es.
ICH SITZE von zwölf Uhr mittags bis zwölf Uhr nachts. Menschen kommen. Menschen gehen. Ein Raucher am Tisch neben der Bar spricht über seine Lungen. Er spürt sie, sagt er und zieht genussvoll an seiner Zigarette. Der Ober stützt sich mit dem linken Arm auf die Theke. Gibt mit gedämpfter Stimme die Replik. Ist Mango oder Pfefferminze in der Schokolade, wirft eine beleibte Dame vom anderen Kopfende der Bar ein. Neben ihr thront ein Mann mit angewinkelten Beinen auf dem Hocker. Schwer zu sagen, erwidert der Ober. Schon steht er neben ihnen. Die goldene Krone ist zuviel, meint sie. Zellophan raschelt. Die Schokolade ist lecker. Ich zahle für dich, sagt die Dame zum Mann. Wann kommst du wieder? Ein Schein wandert von ihrem Portemonnaie zum Ober. Morgen, sagt der Mann. Sie steckt Münzen ein. Ich warte an der Ecke auf dich. Bis dann. (...)
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